Ofenbauer Wilhelm Röfer und seine Töchter
Deutschland im Jahr 1896: Am 16. Juni wird ein monumentales Denkmal auf dem Kyffhäuser Berg in Thüringen eingeweiht. Am 18. August billigt der Deutsche Reichstag das Bürgerliche Gesetzbuch. Und am 20. November entwickelt sich der Hamburger Hafenarbeiterstreik zu einem der größten Arbeitsniederlegungen hierzulande.
Irgendwo in der norddeutschen Provinz wagt just in diesem Jahr der junge Wilhelm Röfer einen für ländliche Räume revolutionären Schritt. Der Ofenbauer tritt der Sozialdemokratischen Partei bei, der er bis zu seinem Tod im 94. Lebensjahr die Treue halten wird.
Nach vollzogener Familiengründung kommt der junge Vater mit Frau und Kindern 1912 nach Otterndorf und erwirbt dort das Gebäude neben dem Landeshaus, dem einstigen Verwaltungssitz in der Landeshäuser Straße.
Großvater Wilhelm ist seinem Enkel Peter Bruncks in lebhafter Erinnerung geblieben. Und so berichtet er, dass dieser vor der NS-Zeit Senator in der Otterndorfer Stadtvertretung war. Er weiß von den politischen Gesprächen im Hause Röfer mit den Otterndorfer Sozialdemokraten während der Hitler-Diktatur, insbesondere mit dem Postschaffner Johann Kähler.
„Der Kreis um Großvater wurde in Otterndorf gemieden“, macht Bruncks deutlich. Ein Umstand, der sich bei dem Enkel tief eingebrannt hat. Für den Enkel war Großvater Wilhelm Vorbild und Held zugleich, der sich schützend vor das heranwachsende Kind stellte: „Na de Geelen kummst du nich“, womit die Hitler-Jugend gemeint war. Der Ausdruck „de Geelen“ bezog sich auf die SA-Uniform in ihrem undefinierbaren Gelbbraun.
Da bekanntlich der Apfel nicht weit vom Stamm fällt, wurden zwei der Röfer-Töchter Sozialdemokratinnen. Die Älteste, Anna, zog gegen die Nazis zu Felde, berichtet Peter Bruncks. Das habe ihr die Inhaftierung in Bautzen eingebracht. Ob sie dort im Zuchthaus oder im KZ saß, weiß der Neffe nicht.
Nach dem Krieg sei Anna zunächst in der DDR geblieben und habe sich auch dort gegen das Regime aufgelehnt. „Sie kam erneut nach Bautzen. Als sie entlassen wurde, ist sie nach Otterndorf gegangen. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1980 war sie SPD-Mitglied“, berichtet der Neffe.
Minna, die zweite Röfer-Tochter, zunächst als Sekretärin in Diensten des Otterndorfer Bürgermeisters Alfred Oest, wechselt danach ins Landratsamt des Landes Hadeln. Dort führt Hinrich-Wilhelm Kopf zwischen 1928 und 1932 als erster Sozialdemokrat die Amtsgeschäfte. Minna Röfer übernimmt dort das Sekretariat.
Nach Zusammenlegung der Kreise Hadeln und Neuhaus verliert Kopf den Landratsposten. Minna Röfer aber bleibt dessen Sekretärin und folgt ihm nach Oberschlesien. Sie teilt das Schicksal der Familie Kopf, als diese durch Kriegseinwirkung ihre Wahlheimat im Osten verlassen muss. Gemeinsam ziehen sie mit dem Flüchtlingsstrom gen Westen. Nach dem Zweiten Weltkrieg steht Minna Röfer dem Regierungspräsidenten des Regierungs-Bezirks Hannover und später dem Ministerpräsidenten Hinrich-Wilhelm Kopf als Sekretärin zur Seite.
„Minna war gehbehindert“, berichtet Neffe Peter Brucks. Eine Kinderlähmung soll hier ihre Spuren hinterlassen haben, sagen die Otterndorfer. Doch es gibt auch die Erklärung von Peter Bruncks. Danach hatte sie sich vor Hitlers Machtergreifung bei einer Demonstration gegen die Nazis in Berlin eine Schussverletzung zugezogen.
1961 kündigt sich hoher Besuch beim Otterndorfer SPD-Urgestein Wilhelm Röfer in der Landeshäuser Straße an, der sogar die heimische Presse auf den Plan ruft. Gemeinsam mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Hinrich-Wilhelm Kopf haben der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin und spätere Bundeskanzler Willy Brandt, sowie dessen Nachfolger im Bürgermeisteramt, Klaus Schütz, den Weg in die Medemstadt gefunden.
Bei Kaffee und Kuchen in der guten Stube ehrt Brandt den hoch betagten Wilhelm Röfer für dessen 65jährige Parteizugehörigkeit. Es versteht sich von selbst, dass auch Tochter Minna der Sternstunde ihres Vaters beiwohnt.