Hinrich Wilhelm Kopf
Tiefland-Sozialist, Patriarch von Hannover mit Bismarckschädel, der sich aus der Hutgröße 62 ½ ableitet, Roter Welfe, Bauer, Makler, Landrat – und Ministerpräsident.
Als Hinrich Wilhelm Kopf am 06. Mai 1893 in Neuenkirchen mitten in eine kleinbäuerliche Welt hinein geboren wurde, war schwerlich zu erkennen, dass er einmal das Aushängeschild der niedersächsischen Sozialdemokratie werden würde.
Es brauchte seine Zeit, bis er Fahrt aufnahm. So besuchte der Knabe zunächst die Volksschule seines Heimatdorfes, wurde dann Schüler des Realprogymnasiums Otterndorf und wechselte schließlich auf die Höhere Staatsschule nach Cuxhaven. Als 16jähriger erlag er dem Lockruf Amerikas, brach die Schule ab und schlug sich gute 9 Monate lang in New Jersey mit Aushilfs-Jobs durch. Das muss ihm nicht geschmeckt haben, denn er kehrte zurück.
Kopf ging auf das Andreanum nach Hildesheim, legte dort das Abitur ab und nahm die Lehre in einem landwirtschaftlichen Betrieb auf. Ab 1913 folgte das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Marburg und Göttingen.
1919 trat er in die SPD ein und war ab 1921 persönlicher Referent des Reichsministers des Innern, Dr. Eduard David, anschließend dann Regierungsrat im Preußischen bzw. Thüringischen Innenministerium. Hinnerk Willem liebte die Vielfalt, und so widmete er sich zwischen 1923 und 1928 dem Bank- und Versicherungswesen sowie dem Maklergeschäft.
1928 wurde er als erster Sozialdemokrat Landrat in seinem Heimatkreis Hadeln – bis zur preußischen Kreisreform im Jahr 1932. Danach verdingte sich Kopf als Kaufmann und Landwirt. Doch irgendwann fingen die Nationalsozialisten ihn ein, denn von 1939 bis 1943 war der einstige Hadelner Landrat im Auftrag der NS-Regierung Vermögensverwalter in Polen. Ob er sich an Enteignung und Aussiedlung der polnischen Bevölkerung beteiligt hat, ist unklar.
1945 folgte der Ruf der Britischen Militärregierung: Kopf wurde zum Regierungspräsidenten von Hannover ernannt. Er war maßgeblich an der Konzeption zur Gründung des Landes Niedersachsen beteiligt, dessen erster Ministerpräsident er am 1. November 1946 wurde.
In der Folgezeit erarbeitete er gemeinsam mit Adolf Grimme und Fritz Sänger die 1951 verabschiedete niedersächsische Landesverfassung. Nach seiner zweiten Amtsperiode zog sich Hinrich Wilhelm Kopf 1955 zunächst aus der Politik zurück, er wurde Aufsichtsratsmitglied beim Hüttenwerk Peine.
Bereits zwei Jahre später stand er wieder auf der Politbühne – als niedersächsischer Innenminister. 1959 trug er erneut den Wahlsieg davon und amtierte bis zu seinem Tod am 21. Dezember 1961 als Ministerpräsident.
„Der Patriarch von Hannover regierte ebenso zäh, wie schlau“, schrieb der Spiegel 1961 nach dem Tod von Hinrich Wilhelm Kopf. „Der Tiefland-Sozialist, geborener Bauer von der Niederelbe, Marine-Kanonier des Kaisers, schwadronierte 1918 im Cuxhavener Soldatenrat. So knallrot ist er niemals mehr gewesen“, war im Spiegel zu lesen.
Zwei Jahre später war der Kurzzeit-Revoluzzer bereits zum Chef der kasernierten Polizei in Thüringen aufgestiegen. Als die Inflation die Ordnung im Lande geschluckt hatte, entdeckte Hinnerk Willem das Monetäre. Er erlernte die Bankgeschäfte, das Versicherungsgeschäft und die Makelei. „Der Makler wurde Landrat, der Landrat Makler, kein Widerständler aus Passion. Er makelte sich durch das Dritte Reich“, hielt das Hamburger Nachrichtenmagazin fest.
„Das Volk braucht kein Gekeife und Geschimpfe, sondern Tatsachen“, lautete ein Kopf-Leitsatz. Dieser war offenkundig aus dem Sachstand erwachsen, dass Hannovers hungerndes Volk im Winter 1946/47 gegen Kopf demonstrierte. Für den Tiefland-Sozialisten wurde es brenzlig. Doch Hinnerk Willem wäre nicht Hinnerk Willem gewesen, hätte er sich nicht an die Spitze des Demonstrationszuges gesetzt und ihn zum Hauptquartier der Briten gelenkt.
Er war heimatverbunden, ohne Frage. Oft hielt er sich im Land Hadeln auf, wohnte hier den Deichschauen bei und fand sich auf Volksfesten ein. Gerne schmauste er auch bei den Krabbenfischern auf Wangerooge oder stapfte als Weidmann durch die Heide, dabei kräftig Doornkaat kippend.
Die Genossen, mit väterlichen Charakteren nicht gerade gesegnet, verziehen dem volkstümlichen Grandseigneur, und hofften wohl im Stillen, dass er so bleiben möge. Nicht ohne Stolz dankten sie, dass Hinrich Wilhelm Kopf Bonner Diplomaten zur Sauhatz in Niedersachsens Wälder einlud und er zum Geburtstag von einem Dynasten, keinem Geringeren als dem welfischen Ernst August, goldene Manschettenknöpfe bekam. Die Nähe zum Welfenhaus brachte ihm dann auch die von ihm gern gehörte Bezeichnung „Roter Welfe“ ein.
Zum Grübeln kletterte Kopf auf den Leuchtturm im Hamburgischen Wattenmeer. Und so verwundert es nicht, dass hoch oben im ältesten Gebäude der Hansestadt auf der Insel Neuwerk das Niedersächsische Landesverfassung entstand, dank seines Weitblicks in die unendliche Ferne.
Kopf passte sich den Zeiten an, blieb Manager, als die große Koalition in Hannover Auflösungserscheinungen zeigte. Jeden Anspruch maß er an der Realität. Der hausbackene Landesvater regierte seinen Staat als erweiterten Heimatkreis des Landes Hadeln. Sein Leitsatz: „Lebt die Gemeinde gesund, lebt der Staat gesund.“
1955 musste Kopf in die Opposition. Daran schluckte er schwer. Er wich ihr aus – und reiste. Nach zwei Jahren fand er sich dann im Kabinett seines Duzbruders von der Deutschen Partei, Heinrich Hellwege, als Innenminister wieder. Nach zwei weiteren Jahren und einem erneuten Wahlsieg war alles wieder im Lot. Regierungschef Kopf sagte zu seinem Vorgänger Hellwege. „We weet beide: De Welt dreiht sik.
Hinrich Wilhelm Kopf beanspruchte nicht mehr Staat als er brauchte. Und er brauchte wenig, weil er nach Instinkt regierte. Er war ein Mann der Vernunft und doch niemals farblos. Er war ein Opportunist, und das mit erstaunlicher Souveränität.