Verein „Zukunft durch Erinnern“ gedachte der 14 ums Leben gebrachten Säuglinge – Dr. Simon: „Rassenideologie der Nazis hat selbst das Morden von Kindern möglich gemacht“

Claus Johannßen (Stadtrat Otterndorf) dankt dem Verein und der Kirche.

Auch wenn seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs 74 Jahre vergangen sind, so gibt es viele Geschehnisse aus jener Zeit, die heute in unverminderter Intensität betroffen machen. In Otterndorf ist dies das Schicksal von 14 Säuglingen, denen jegliche Lebenschance genommen wurde, sie von der ersten Stunde ihres Daseins an der Willkür preisgegeben waren, sie kaum Zuwendung erfuhren, mangelnde Hygiene und unzureichende Ernährung ihr Schicksal in kurzen Zeiträumen besiegelten.

 

Alljährlich am 8. Mai, dem offiziellen Tag des Kriegsendes, gedenkt der Verein „Zukunft durch Erinnern“ dieser Kinder unweit jenes kleinen Gebäudes, das einmal zum Krankenhaus der Stadt gehörte. Nach der Geburt von ihren Müttern getrennt, die als Zwangsarbeiterinnen schwere Arbeit zu verrichten hatten und man ihnen offiziell keinerlei Rechte zugestand, diente dieses „Ausländer-Pflegeheim“ gewissermaßen als Abstellkammer für unerwünschtes Leben. Hier fanden 14 Kinder, 11 Jungen und 2 Mädchen von polnischen Zwangsarbeiterinnen und ein weiterer Junge von einer russischen Mutter den sicheren Tod.

 

Trauer, Nachdenklichkeit, Scham ob der einstigen Geschehnisse: Die Gedenkstunde wurde mit einem musikalischen Stimmungsbild der Querflötistin Marissa Borchard eröffnet, das wohl jeden der Teilnehmer berührte.  Dr. Gisela Penteker als Mitglied des Vereinsvorstands hob in ihrem Eröffnungsbeitrag den hohen Stellenwert der Erinnerungskultur hervor, ohne die es keine Zukunft geben könne.

 

Dass den 14 Kindern nach jahrzehntelanger Anonymität Namen zurückgegeben und somit auch deren Herkunft ergründet werden konnte, sei den Nachforschungen des Cuxhavener Historikers Hans-Jürgen Kahle zu verdanken, führte Dr. Ulrich Simon in seiner Gedenkrede aus. „Die Rassenideologie im Nationalismus hat das Verfolgen und Morden selbst von Kleinkindern möglich gemacht. Wir wollen, dass das nicht vergessen wird“, so Dr. Simon. Auf die Gegenwart eingehend, hob der stellvertretende Vereinsvorsitzende mit Nachdruck hervor: „Wir wollen empfindlich machen, wie durch Hetzpropaganda auch heute wieder die Anderen zu bösen und gefährlichen Menschen gemacht werden.“ Die Mobilisierung von Fremdenhass habe nur ein Ziel: „Keine Fremden nach Deutschland und Europa.“ Nie dürfe in Vergessenheit geraten, wohin Hetzpropaganda führe. Dr. Simon rief zur Wachsamkeit auf, „wenn Staats- oder Parteienvertreter und Medien gegen andere Völker oder Andersdenkende zur Verfolgung aufrufen.“

 

Eigentlich sei die Errichtung der Gedenkstätte für die 14 Kinder eine städtische Aufgabe gewesen, so Claus Johannßen. Aber „der seinerzeitige Stadtrat hatte nicht die Kraft dazu.“ Seinen ausdrücklichen Dank richtete er an den Verein „Zukunft durch Erinnern“ und an die Kirche für die Mitwirkung der Errichtung des Stelenfeldes auf dem Friedhof. Auf 70 Jahre Grundgesetz in diesen Tagen hinweisend, ging er auf Artikel 1, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ein. Dieser beziehe ausdrücklich jeden Menschen ein, unabhängig von seiner Herkunft, seiner Hautfarbe oder seines Glaubens. Johannßen nannte es unerträglich, dass die alte Fratze des Holocaust in diesem Land wieder hochkomme. Auf die Europawahl eingehend, „muss gerade von Deutschland ein Zeichen ausgehen, dagegen zu halten.“