Sozialdemokratische Grundwerte neu in Position gebracht

Ortsverein Land Hadeln: SPD muss wieder Mitmachpartei werden Nordleda / Land Hadeln. Dass die Verlockung der einsetzenden Sommerpause, auch herzhafte Gaumenfreuden und die familiäre Atmosphäre des Gästehauses Petersen in Nordleda „nur“ willkommene Randerscheinungen waren, spricht für die Bedeutung des Kerns.

Der SPD-Ortsverein Land Hadeln unter Vorsitz des Osterbrucher Bürgermeisters Peter von Spreckelsen hatte gemeinsam mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD-Grünen-Gruppe im Kreistag Cuxhaven, Claus Johannßen, zugleich auch Bürgermeister in Otterndorf, die Weichen für einen lebhaften Diskussionsabend über sozialdemokratische Grundwerte in Vergangenheit und Gegenwart gestellt. Zu den zahlreichen Teilnehmern gesellte sich auch der Landtagskandidat des Wahlkreises 57 (Hadeln/Wesermünde), Detlef Horeis.

Von Spreckelsen nutzte die Zusammenkunft, um auf die Klage zur Elbvertiefung einzugehen. Seien im letzten Samtgemeindeausschuss alle zehn Anwesenden der Meinung gewesen, dass Otterndorf den Rechtsweg beschreiten müsse, habe sich das im Stadtrat Otterndorf völlig anders dargestellt, „hier versagte sich die CDU/FDP-Gruppe der Zustimmung.“ Das Klageverfahren sei nun mit den Stimmen der SPD-Mehrheit auf den Weg gebracht worden. Den BUND, so dessen Ankündigung, werde der Ortsverein bei der gerichtlichen Auseinandersetzung finanziell mit einer Spende unterstützen.

Die Würdigung langjähriger Mitglieder nahm Claus Johannßen als stellvertretender Unterbezirksvorsitzender vor. So ehrte dieser den Wannaer Ronald Frerks für dessen 25-jährige SPD-Mitgliedschaft. Er habe „toll gekämpft für unsere Ziele und selbst für das EU-Parlament kandidiert.“ 25 Jahre dabei ist auch Heinz Galonska und 40 Jahre Klaus Battermann. Dessen Eintrittsjahr 1972, so Johannßen, sei von Aufbruchstimmung mit dem Ruf „Willy wählen“ in die Geschichte eingegangen.

Brandt-Vision vom blauen Himmel über der Ruhr

Für den spannenden Abend mit hohem Aussagepotenzial zur politischen Standortbestimmung und auf Zukunft ausgerichtete Selbstfindung war es von Spreckelsen gelungen, mit dem Bramstedter Günter Nagels ein politisches Urgestein zu gewinnen. 50 Jahre in der SPD wirkend, wurde dieser 2011 mit der höchsten Auszeichnung, der Willy-Brandt-Medaille, geehrt. In Duisburg aufgewachsen und dort „unter dem Hochofen gelebt“, war es die Brandt-Vision vom „blauen Himmel über der Ruhr“, die ihn 1962 veranlasste, in die SPD einzutreten. Zunächst belächelt, hätten die Bürger gemerkt, dass es so nicht weiter gehen könne, was Brandt als Kanzlerkandidat aufgegriffen habe. „Er hatte Gespür für die Notwendigkeit von Veränderungen, und er hatte Charisma“, so Nagels.

In jener Zeit seien Hunderttausende in die SPD eingetreten. 1962 sei dann im NRW-Landtag das erste Gesetz zur Luftreinhaltung verabschiedet worden – „gegen die Interessen der Wirtschaft.“ Brandt habe seinerzeit argumentiert: „Wenn wir Umwelttechniken als Idee haben und diese umsetzen, dann schaffen wir neue Arbeitsplätze.“ Für seine Partei habe dies den Quantensprung bedeutet. Nagels, Ingenieur in der Stahlindustrie Duisburgs, Ende der 1960er Jahre in einem Bremer Stahlwerk mit der Leitung der dortigen Umweltschutzabteilung beauftragt, wählte Bramstedt als neuen Familien-Wohnsitz. Fortan sorgte er auf dem flachen Land dafür, dass die SPD auch dort ernst genommen wurde.

Zur jüngsten Geschichte seiner Partei ging dieser auf das Ende der Schröder-Regierung und auf das schlechte Wahlergebnis 2009 ein. Gleichwohl sei die SPD kein Auslaufmodell: „Wir haben fast alles richtig gemacht, aber die Früchte der Schröder-Agenda 2010 nicht eingefahren.“ Nagels mahnte: „Wir müssen wieder Gespür entwickeln für das, was die Menschen bewegt.“ Allein der Zulauf bei den Piraten zeige: „Wir haben etwas versäumt.“ Themenbezogenes Engagement sei vonnöten, „damit aus Wutbürgern wieder Mutbürger werden.“ Nur unter dem Aspekt der Glaubhaftigkeit könnten Demokratie und soziale Gerechtigkeit gewinnen.

„Es fehlt an Wahrnehmung“

Ortsvereinsvorsitzender von Spreckelsen thematisierte Grundkonflikte in der Gegenwartsgesellschaft, die auf Antworten warteten. Auch heute gelte der soziale Grundwert, Menschen an Entscheidungen partizipieren zu lassen. Otterndorfs stellvertretender Bürgermeister Henry Adolf Woltmann mahnte soziale Gerechtigkeit, „den blauen Himmel für den kleinen Mann“ an: Um Sozialhilfe durch Hartz IV abzulösen, was vielen Menschen Erleichterung gebracht habe, „brauchten wir Jahre. Die europaweite Rettung von Banken aber geht sofort, weil sie systemrelevant sind. Und der Mensch?“, stellte Woltmann seine Frage in den Raum.

Der sozialdemokratische Wertekanon, darüber bestand an diesem Diskussionsabend Einigkeit, müsse wieder gesellschaftliche Perspektiven, müsse Visionen entwickeln, damit sich die Kluft zwischen Arm und Reich verringere. Und es wurden Forderungen nach Bürgerentscheiden laut. Günter Nagels: „Es fehlt an Wahrnehmung. Die Partei muss wieder ein offenes Ohr für die Sorgen der Menschen haben, sie muss die Sprache der Straße verstehen, muss wieder Mitmachpartei werden.“