Claus-Peter Poppe: „An der Zeit, gemeinsam Position in sozialen Fragen zu beziehen“

Kirche und Kommunen: Am runden Tisch Zukunft verantwortlich miteinander erschließen Otterndorf. Ein provokanter Titel greift Raum, wird angenommen und führt zu einem Ergebnis: „Lässt die SPD die Kirche im Dorf?“ Diese mutige Schlagzeile über dem fünften Dialog 2012 der Veranstaltungsreihe des SPD-Unterbezirks Cuxhaven fand in Otterndorf einen äußerst positiven, dreidimensionalen Widerhall: Bei der Kirche, den Kommunalpolitikern und den am Gedankenaustausch beteiligten Bürgerinnen und Bürgern. Mehr noch: Mit Gesprächen am Runden Tisch und Vernetzung zwischen Kirche und Kommunen soll die Zukunft gemeinsam verantwortlich erschlossen werden.

Kein großer, aber ein in Quantität beachtlicher und Qualität stattlicher Kreis an Teilnehmern aus der Medemstadt, seiner nahen Umgebung und der Weite des Cuxlandes waren dem Dialogangebot gefolgt. Als Gesprächspartner konnte Daniela Behrens (Vorsitzende der SPD-Kreisverbandes) den Superintendenten der Kirchenkreise Cuxhaven und Land Hadeln, Jörg Meyer-Möllmann, und den Sprecher für Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften der SPD-Landtagsfraktion Niedersachsen, Claus-Peter Poppe MDL, willkommen heißen. Die Moderatorenposition übernahm an diesem Abend Otterndorfs Bürgermeister Claus Johannßen.

Dem Titel begegnete Claus-Peter Poppe mit den Worten: „Klar! Wir lassen die Kirche im Dorf, denn wir sind keinen Kirchenfeinde, auch keine Bilderstürmer.“ Die SPD sei nicht einmal für die Zusammenlegung von Kirchenkreisen zuständig. Doch der Landtagsabgeordnete verschwieg auch nicht, dass es vor dem Zweiten Weltkrieg antikirchliche, wenn auch nicht antireligiöse Tendenzen gegeben habe, „weil Kirche staatstragend und somit auf der Seite der Mächtigen war.“

Das habe sich nach dem Krieg geändert, sei der entscheidende Wendepunkt mit dem Godesberger Programm gekommen, „in dem die christliche Ethik verwurzelt ist – aus Achtung vor der Glaubensentscheidung der Menschen.“ Im Judentum und im Christentum verwurzelt, „brauchen wir kein ‚C‘ im Namen.“ Denn die ausschließende Haltung, dass „diejenigen, die nicht bei uns sind, nicht christlich geprägt sind“, sei der SPD fremd. So gebe es in vielen Einzelfragen die Nähe zur Kirche. Konflikte gebe es aus aktuellen Anlässen: Religionsunterricht versus Ethikunterricht, islamische Religion, immer wieder auch der Kruzifix-Streit, die Frage des verkaufsoffenen Sonntags oder Kirche als Arbeitgeber – bis hin zum Asylrecht. „All diesen Fragen müssen wir uns als SPD stellen.“

„Kirche darf nicht, sondern soll politisch sein“

Die Welt ein Stück Gott gemäßer zu machen, „da haben Kirche und Staat Berührungspunkte“, so Superintendent Jörg Meyer-Möllmann, der seine Freude darüber zum Ausdruck brachte, „mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.“ Sogleich wartete dieser mit einer überraschenden Zahl auf: „73 Prozent der SPD-Mitglieder gehören einer christlichen Gemeinschaft an“, mehr als die Bewohner der Bundesrepublik insgesamt. Und der Kirchenmann brachte ein Steinmeier-Zitat: „Kirche darf nicht, sondern soll politisch sein.“ Ihn treibe eine große gesellschaftliche Sorge um: „Die demografische Entwicklung im Landkreis Cuxhaven, in der Küstenregion, bewegt mich sehr.“

Die Gesellschaft werde immer älter, die Pflege immer teurer. Die wirtschaftliche Situation von Diakonieeinrichtungen, die ihren Mitarbeiter anständig bezahlten, spitze sich vor dem Hintergrund konkurrierender Träger mit der Praxis niedriger Entlohnung zu. Und so frage er die Politik: „Kommen wir da alle hin, dass gute Arbeit nicht mehr gut bezahlt werden kann?“ Bürgermeister und Moderator Claus Johannßen nannte hier aus kommunalpolitischer Sicht zwei Probleme. In der Vergangenheit habe es im Landkreis einen Altenpflegeplan gegeben, der dann aufgehoben worden sei. „Wir haben es mit einem Überangebot an stationären Pflegeplätzen zu tun.“ Die Gesamtproblematik aber lasse sich hier nicht lösen, „sie ist an das Land und an den Bund zu adressieren.

„Wir dürfen das nicht auf Dumpinglöhne hinaus laufen lassen und fordern einen verbindlichen, gesetzlich geregelten Mindestlohn“, die Stellungnahme Poppes. Bei den Pflegesatzverhandlungen nehme Niedersachsen den vorletzten Platz unter den 16 Bundesländern ein. Hier sei das Land gefordert. Der Landtagsabgeordnete brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, „dass die SPD nach der Landtagswahl 2013 selbst Akzente setzen kann; der Pflegesatz muss rauf.“

„Ist es nicht so, dass Kirche das Dorf verlässt?“

Kirche vor Ort als verlässlichen Partner würdigend, sah Johannßen SPD und Kirche nahe beieinander und nannte die Trägerschaft von Kindergärten, zudem die kirchliche Beteiligung an der Sozialstation Land Hadeln. Doch er stellte auch die provokante Frage: „Ist es nicht so, dass Kirche inzwischen das Dorf verlässt?“ In den Kommunen gebe es sehr hohe Ansprüche und unreflektierte Sätze, reflektierte Meyer-Möllmann: „Der Kaufmann und die Post sind gegangen, da muss wenigstens der Pastor bleiben.“ Das aber habe mit der Realität nichts zu tun. Durch das Kirchensteuersystem wirke sich Demografie auf die Kirche noch radikaler aus als auf die Kommunen. Pensionäre und Rentner zahlten oft keine Kirchensteuer mehr, und so verliere die Landeskirche Jahr für Jahr erheblich an Finanzkraft. „Daher sind wir in einem Umstrukturierungsprozess – wie die Gesellschaft und die Kommunen.“

Sein Wunsch an Politik und Interessierte aus der Mitte der Gesellschaft: „Miteinander viel deutlicher das Gespräch suchen und überlegen, wie wir unsere Gemeinden stärken können, damit Lebensqualität für die Übriggebliebenen noch gegeben ist.“ Der Superintendent nannte Funde, mit der Kirche wuchern kann: offene, sehenswerte Gotteshäuser und „als Kulturträger sollten wir uns deutlicher vernetzen.“ Als gemeinsames Problem von SPD und Kirche nannte die Kreisvorsitzende Daniela Behrens die Entwicklung von Bindungskraft. „Wir von der SPD haben noch keinen Königsweg gefunden.“ Es müsse gemeinsam gelingen, „einen guten Geist so zu entwickeln, dass wir wieder einladend wirken – als Kirche und als Partei“ die Vision des Landtagsabgeordneten Poppe.

Verschiedene Diskussionsbeiträge machten an diesem Dialog-Abend den Willen zur gemeinsamen Zukunftsgestaltung deutlich. „Wir müssen Visionen entwickeln“, so Osterbruchs Bürgermeister Peter von Spreckelsen, während Claus-Peter Poppe die gegenseitige Befruchtung beschwor: „Es ist an der Zeit, gemeinsam Position in sozialen Fragen zu beziehen.“ Er nehme aus diesem Gespräch mit, wie wichtig es sei, miteinander zu reden, das Fazit von Superintendent Jörg Meyer-Möllmann. An einem Runden Tisch könne man Zukunft miteinander verantwortlich erschließen. Eine große Tradition neu belebend, nahm dieser die Einladung von Claus Johannßen an, anlässlich des SPD-Parteitags im September in Geversdorf geistliche Worte zu sprechen.